Gebrauchsanweisung für Griechenland by Pristl Martin

Gebrauchsanweisung für Griechenland by Pristl Martin

Autor:Pristl, Martin
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Piper
veröffentlicht: 2016-09-04T16:00:00+00:00


Wilde Wassertrinker

oder: Das Spiel mit der Cola-Dose

Herakles aber (…) riss den Grund des Viehhofes auf der einen Seite auf, leitete die nicht weit davon fließenden Ströme Alpheios und Peneios durch einen Kanal hinzu und ließ sie den Mist wegspülen und durch eine andere Öffnung wieder ausströmen.

Herakles bei der Reinigung der Augiasställe nach Gustav Schwab

Wenn dieses Kapitel nun damit beginnt, dass jenes allgegenwärtige Glas Wasser, ohne das man in Griechenland gar nicht überleben kann, in der Regel aus der Leitung stammt, wenn Sie zudem das Kapitel »Kurz vor dem Sitzen« schon vorweg gelesen haben und Ihnen gleichzeitig bewusst wird, jegliche Darmtranquilizer daheim vergessen zu haben, dann werden Sie womöglich verärgert überlegen, warum dieses wichtige Thema nicht gleich im Vorwort erwähnt wurde. Ein anderer Anfang also!

Wer trotz seines wohlverdienten Urlaubs in aller Herrgottsfrühe von der Matratze sprang, konnte das seltsame Schauspiel noch Anfang der Neunzigerjahre auch als Tourist miterleben. Erstes Anzeichen war ein tiefes, dröhnendes Brummen, dann taucht der gelbe Motorflieger hinter einem Hügel auf. Ein Doppeldecker, noch dazu im Tiefflug, der seine Kapriolen erstaunlich knapp über der zerklüfteten, bergigen Landschaft vollführte. Oft genug konnte man sogar den Piloten in seinem offenen Cockpit erkennen, seine Ledermütze und die Schutzbrille, die Konturen seines nostalgischen Fliegers und dann auf einmal die mächtige weiße Fahne, die er hinter sich herzog. Kein Motorschaden. Giftgas. Langsam sank der penetrant riechende Sprühregen herab, nicht gegen Sie gerichtet, sondern gegen den dacus oleae. Hinter dieser wissenschaftlichen Bezeichnung verbirgt sich ein Insekt, das äußerlich der gemeinen Stubenfliege ähnelt. Den Tod hat der dacus verdient, weil er die Olive anbohrt und seine Eier hineinlegt. Die später ausgeschlüpften Larven saugen am kostbaren Öl und vergreifen sich damit nicht nur am Nationalprodukt der Griechen, sondern gefährden zugleich die Existenzgrundlage vieler Bauern.

Das Schauspiel ist Vergangenheit. Den Damen und Herren vom europäischen Landwirtschafts- und Umweltministerium in Brüssel, denen die griechischen Pestizidflieger schon lange störend um die Köpfe brummten, setzten Ende 1991 endlich durch, dass die griechische Regierung den »Luftkampf« beendete und neben dem Landwirtschaftsministerium zusätzlich eines für biologische Landwirtschaft einrichtete.

Seitdem spritzen die Bauern per Hand. Noch im Vorjahr, 1990, hatte eine Expertenkommission der FAO, der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO, die Größe der in Griechenland ökologisch bewirtschafteten Fläche mit null angegeben. Portugal brachte es im selben Jahr immerhin auf 320 Hektar und der griechische Erzfeind, das Möchtegern-EU-Mitglied Türkei, sogar auf 1000. Eine der ersten Amtshandlungen der neuen Ministerin war es, mit ihrem (aus einer Sekretärin bestehenden) Mitarbeiterstab den praktisch einzigen Betrieb in Griechenland zu besuchen, der sich ernsthaft dem biologischen (Oliven-)Anbau widmete, um sich vor Ort ganz allgemein über ökologische Perspektiven zu informieren.

Das obligatorische Glas Wasser ist dennoch sauber, auch ein Sprung ins blaue Meer wird nicht mit Hautausschlägen oder Ekzemen vergolten. Nach Zypern belegt Griechenland in der EU den zweiten Platz in Sachen Badewasserqualität. Die technologische Unterentwicklung – die sogenannten Industrialisierungsphasen des 18. und 19. Jahrhunderts sind an Griechenland spurlos vorübergegangen – mag vielleicht Wirtschaftsexperten zur Verzweiflung bringen, lässt aber die (wenigen) Umweltexperten etwas ruhiger schlafen. Nur in Athen serviert man Ihnen das Wasser aus gutem Grund in Plastikflaschen, von denen anschließend nicht einmal jede zweite recycelt wird.



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